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Zeitzeugeninterview mit einem der letzten Besitzers der Ilberstedter Mühle

Bericht eines Zeitzeugeninterviews mit Herrn Wolfgang Simm aus Kemberg bei Wittenberg zur von der Familie Simm in Ilberstedt betriebenen Wassermühle

Wir treffen uns heute zu einem Zeitzeugeninterview mit Herrn Wolfgang Simm, dem zweiten und jüngsten Sohn des Herrn Otto Simm aus Ilberstedt, der zusammen mit seinem Vater Gustav Simm 1927 für 20.000,00 Reichsmark die Ilberstedter Mühle gekauft hat. Der Vorbesitzer, Herr Maximilian Grolms hatte die Mühle von 1914 bis zum Jahre 1927 geführt, allerdings mehr schlecht als recht. Es war eine schwere Zeit. Unmittelbar in der Kriegszeit von 1914 bis 1918 und in die Zeit danach war für Müllersleute u.a.m. keine so gute Zeit, so dass sich mit der Mühle auch nicht viel verdienen ließ. Unser Vorbesitzer hatte sich zwar bemüht, etwas aus der Mühle zu machen, das aber nur mit bescheidenem Erfolg, weil es ja nicht die notwendigen Erträge gab. Herr Otto Simm, unser Vater also und dessen Vater wiederum, Gustav Simm, hatten zuvor in Drosa eine Windmühle betrieben und haben sich dann aufgrund einer Ausschreibung dazu entschlossen, die Wassermühle in Ilberstedt zu erwerben. Das ist kein leichter Vorgang: nämlich der Umstieg vom Windmüller zum Wassermüller. Unser Vater, Herr Otto Simm hat seinerzeit den Kaufbetrag in Höhe von 20.000 Reichsmark bei einer Gläubigerfamilie, eine Schneiderfamilie namens Müller in Bernburg, als Darlehen ausgeliehen und vereinbart, dass er nur die Zinsen, also den Kapitaldienst, zurückzahlt und das Darlehen die folgenden Jahre unverändert bestehen lassen könne. So war er in der Pflicht, immer (nur) die Zinsen zu bezahlen, brauchte aber keine Tilgung vorzunehmen. Diesen Umstand hat er genutzt, das erwirtschaftete Geld statt in die Tilgung besser in die Modernisierung der Mühle zu stecken, was ihm auch sehr gut gelang. In den Jahren 1930 bis 1932 war die Mühle in einem so guten Zustand, dass sich mit der Mühle ein hervorragendes Mehl herstellen ließ und er (unser Vater) daraufhin auch gute Verdienste machen konnte. Diese Verdienste waren so üppig, dass er sich schon nach zwei Jahren einen 2-Tonnen-Lieferwagen kaufen konnte, um das Mehl in der Umgebung von Ilberstedt bis hin nach Bernburg und in den anderen umliegenden größeren Städten zu den Bäckern zu bringen, die sein Mehl wegen der hervorragenden Qualität sehr geschätzt haben. Das war mit Pferdewagen oder mit Pferdekutschen, so wie es früher gemacht werden musste, nicht so gut möglich; mit Pferdewagen war es folglich nur möglich, das Mehl in der unmittelbaren Umgebung zu veräußern. Die Anschaffung des motorisierten Fahrzeuges hat sich also gelohnt und so lief der Mühlenbetrieb außerordentlich erfolgreich.

Das Mehl, das der Vater herstellte, bekam das Qualitätsprädikat „Wipperperle“ zugesprochen. Und: Der Vater war in der Lage, pro Tag vier Tonnen Mehlprodukte zu erzeugen; das war schon eine großartige Leistung! So ging es der Familie in den 30er Jahren gut. Und erst als die Nazis die Herrschaft übernahmen, war abzusehen, dass es nicht mehr so erfolgreich weitergehen würde. Der Vater hatte große Sorgen, dass er aufgrund des aufziehenden neuen Krieges noch mit einer Einberufung rechnen müsse, was dann auch geschah; er wurde 1943 kurz vor seinem 40. Lebensjahr noch zum Militär eingezogen, in Stendal ausgebildet und dann nach Jugoslawien geschickt, um in einer Division für die Wartung von Fahrzeugen und auf Grund der Tatsache, dass er schon Lastwagentransporterfahrungen besaß, für den LKW-Transportfahrdienst Sorge zu tragen hatte. Somit hatte es die Mutter schwer, die Mühle zu betreiben; wir Kinder waren dafür noch viel zu jung. So musste sie viel mit Aushilfskräften und in der Mühle einquartierten Flüchtlingen aus den Ostgebieten arbeiten. Die Einheit des Vaters wurde im Mai 1945 entwaffnet und in einem Lager mit schlechten Bedingungen festgesetzt; dort ist er mit vielen anderen Soldaten am 12.12.1945 bei Belgrad gestorben.

Wir haben das erst im Mai 1946 erfahren. Es war für die Mutter ein großer Schmerz. Jetzt stellte sich für uns erstmals die Frage: Was wird aus der Mühle?, Gott sei Dank war unter den bei uns einquartierten Aussiedlern aus Schlesien und aus den tschechischen Gebieten unter anderem auch ein Müller; es ging also doch irgendwie  mit dem Mühlenbetrieb weiter. Große Sorgen machte uns zwischenzeitlich auch die Kollektivierung der Landwirtschaft durch die sowjetische Militäradministration; die hatte zunächst gefordert, dass die Mühle wieder in Betrieb gehen müsse, denn die Bevölkerung musste ja versorgt werden. Bis Mai 1946 wusste die Mutter nicht, ob der Vater wiederkommt. Deshalb hat unsere Mutter versucht, die seinerzeitigen Überlegungen unserer Eltern in die Tat umzusetzen: Mein Bruder sollte Müller werden und ich Mühlenbauer; das wäre alles sehr praktisch gewesen. So machte mein zwei Jahre älterer Bruder Ernst-Otto später eine Müllerausbildung bis zum Gesellen und er war ein guter Geselle. Um aber auch Qualitätsmehl herstellen zu können, musste er Meister werden. Das gestaltete sich schwierig, denn die Kollektivierung bei uns im Ort ließ es nur zu, dass wir die Mühle ohne Meister gerade noch über einen Pächter betreiben konnten; die Mutter trat als Verpächterin auf. So haben wir trotzdem recht viel Geld verdient und konnten dergestalt die Tilgung des „Aufbaukredites“ – in Höhe von 20.000 Reichsmark -  in Angriff nehmen. Damit taten wir uns ohne den Vater jedoch mehr als schwer. Jedoch wollten unsere Darlehensgeber, mittlerweile die Kindeskinder der eigentlichen Geldgeber zu dieser Zeit das Geld noch nicht haben; denn das Geld war noch wenig wert. So baten sie unsere Mutter, mit der Zahlung zu warten, bis der Bruder die Mühle als Müller übernehmen konnte. Und die Mutter hatte ein gutes Herz und hat zunächst großzügig darauf verzichtet. Das war sicherlich ein schwerer Fehler, der uns noch lange zu schaffen gemacht hat. Auch als die Russen dann das Regime übernommen hatten, stellte sich die Frage, woher das Getreide für unsere Mühle kommen sollte. Dazu wurden zunächst die Läger der sogenannten Großagrarier Weibezahl und Biedersee geräumt; die Kleinbauern haben nur kleinere Mengen geliefert; die Großbetriebe aber waren für den Erhalt der Mühle wichtiger. Um den Betrieb aufrechterhalten zu können, hat die Mutter die Mühle später übernommen; das konnte sie aber nur, wenn sie einen Müller beschäftigte. So heiratete sie bald schon den damaligen Bruder des Güstener Müllers, Herrn Müllermeister Fritz Rusche. Jetzt war es möglich, die Mühle weiter zu betreiben im Bestreben und vor dem Hintergrund, dass unser Bruder seine Meisterausbildung in Angriff nimmt. Letztendlich hat die Ehe mit Herrn Rusche aus zwischenmenschlichen Gründen heraus nicht geklappt: Unsere Mutter und wir Kinder kamen mit Herrn Rusche nicht gut aus. Damals liefen die Geschäfte gut und die Mutter hat einmal überschlägig ermittelt, wie lange es noch dauern würde, bis der Kredit abgezahlt wäre; sie kam auf 8 Jahre. Sie hat also für 10 Jahre einen Pächter aus Bernburg, Herrn Rowe als Müllermeister eingestellt, aber nach 8 Jahren den Kontrakt wieder aufgekündigt, da bei den Rowes ein nicht ganz korrektes Verhalten zutage trat; es stellte sich sehr schnell heraus, dass Rowes mit Mehl geschachert und in die eigene Tasche gewirtschaftet hatten. Mutter hat ihnen damals 2 Jahre früher gekündigt und Ernst-Otto war damals schon Geselle.

Wir merkten jedoch damals bereits, dass sich auf Grund der in Gang kommenden Kollektivierung für uns die Rahmenbedingungen doch deutlich verschlechterten. Unsere sogenannten Großagrarier veränderten sich und damit auch deren Praxis in der Zusammenarbeit mit uns; diese lieferten mehr und mehr und viel lieber an die entstehenden großen Mühlenbetriebe und die kleinen landwirtschaftlichen Betriebe fingen zusehens an, selber zu schroten. Der Überlebenskampf für unsere Mühle wurde also sehr viel rauher mit der Folge, dass wir überlegt haben, wie wir mit der Mühle weiterkommen. Außerdem hatten wir auch noch einen Großteil des Altkredites zurückzuzahlen.

Wir konnten nur schlecht und recht damit leben. Es war noch ein Restgeldbestand vorhanden, aber die Mutter musste jedes Vierteljahr die Tilgungsrate und die Zinsen an den Gläubiger zahlen, und das war erheblich. Sie selbst hatte für sich auch keine Sicherung, so wie das früher bei Verheirateten üblich war: Die Männer haben im Gewerbe natürlich auch für die Frauen gesorgt. Sie musste deshalb dann noch 15 Jahre arbeiten gehen, um eine Rentenanwartschaft zu erhalten. Das hat sie von etwa 1950 bis 1965 bei der Firma Duschka in Ilberstedt getan. Das war eine Repassierwerkstatt; dort hat man die Strümpfe der Frauen repariert. Das Geschäft lief gut. Meine Mutter hatte dort eine recht günstige Tätigkeit im Büro. So konnte sie dann später auch eine Rente beziehen.

Da wir Kinder zwischenzeitlich auch in eigenen Berufen und Lebensplanungen ohne Mühle waren, begann bei uns im Zusammenhang mit der imponderablen Gesamtentwicklung des privaten wirtschaftlichen Arbeitens in der Planwirtschaft der DDR der Gedanke zu wachsen, sich von der Mühle zu trennen. Da war die Möglichkeit, die Mühle durch den Staat bzw. durch die Gemeinde zu dringend benötigtem Wohnraum umbauen zu lassen, ein echter Rettungsanker. Wir haben deshalb nach Abstimmung mit der Gemeinde die Mühle zu einem Preis von 13.000 Mark (Mark der DDR) verkauft. Mein Bruder Ernst-Otto hat dann noch durch das Ausschlachten der Mühle, respektive durch den Verkauf von an anderen Stellen in der Wirtschaft noch benötigten Gerätschaften aus unserer Mühle so viel Geld beigesteuert, dass wir den Altkredit zurückzahlen konnten. Das haben wir alle als Segen empfunden, obwohl uns der Verlust der Mühle sehr geschmerzt hat.

Der Bruder wurde dann Ingenieur für Mischfuttertechnik und ist in einem Mischfutterwerk in Könnern als Produktionsleiter tätig gewesen. Ich war mittlerweile Getreidewirtschaftler und in höherer Funktion. Unsere Schwester hat einen Mann geheiratet, der im Kalibergbau in höchster Stellung tätig war, sodass es für uns gar nicht mehr darauf ankam, die Mühle zu behalten.

Die Mutter wohnte noch bis 1967 in der Mühle. Herr Adam, seinerzeitiger Ilberstedter Bürgermeister, hat dann mit ihr eine Vereinbarung getroffen, die über den Kreis und über den Bezirk abgesegnet wurde dahingehend, dass die Mühle zu einem Wohnhaus mit acht Wohnungseinheiten umgebaut wird. Mit Feierabendbrigaden ist alles vollzogen worden. 1967 wurde sie dann als „Wunderobjekt“ in Betrieb als Wohnhaus genommen. So ergab sich für die Mutter der Umstand, dass sie auch aus der Mühle ausziehen musste. Sie ist dann nach Drosa zurückgekehrt. Wir Kinder waren ja schon aus dem Haus.

Mit dem Objekt als Wohnhaus ging es dann bis zur sogenannten politischen Wende gut. Der Garten mit seinen vielen Obst- und Beerengehölzen wurde von den Mietern zwar total vernachlässigt, aber als Wohnhaus war das Objekt beliebt. Man muss sagen, dass kurz vor der Wende und natürlich ganz stark nach der Wende keiner ein Interesse mehr daran hatte, weiterhin in dieser Mühle zu wohnen. Denn es war doch ein älteres Objekt, das in der DDR so einigermaßen als Wohnung hergerichtet wurde, aber immer noch mit Kohleheizung und mit sehr vielen Unannehmlichkeiten, die es eben in der Zeit noch gab. In dieser neuen Zeit, also nach der Wende, wäre es notwendig gewesen, die Mühle bzw. das Wohnhaus zu modernisieren. Da gab es auch Ansätze, neue Eigentümer zu finden, die letztendlich aber alle abgesprungen sind, weil der Aufwand dafür anscheinend damals schon zu hoch war. So ist es also zum kompletten Auszug aller Mieter und zum absoluten Stillstand für das Gebäude selbst gekommen, sodass man heute von einer Ruine sprechen muss.

Für die Mutter war der Auszug und Umzug nach Drosa letztendlich gar nicht schlecht, denn Sie hat dort einen neuen Partner gefunden, den sie noch von früher aus der Schulzeit kannte. Wir Kinder waren darüber sehr glücklich, dass sie noch ein schönes, glückliches Lebensende hatte.

Sie ist dann 1984 verstorben.

Der Verein

Satzung des Heimatvereines Ilberstedt

vom 04. Oktober 2004 geändert am 23.02.2006.

§1 Name, Sitz, Gerichtsstand Eintragung und Geschäftsjahr 1) Der Verein führt den Namen „Heimatverein Ilberstedt 2) Er hat seinen Sitz in Ilberstedt, Landkreis Bernburg. 3) Der Gerichtsstand ist Bernburg. 4) Der Verein ist am 26.02.2003 in Ilberstedt gegründet worden. 5) Das Geschäfisjahr ist jeweils das Kalenderjahr. 6) Der Verein soll in das Vereinsregister eingetragen werden.

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