Bericht des Othbert - (Schröder: Fassung I)
„Erzählung über das in dem Land Sachsen zur Zeit des Erzbischofs Heribert von Köln geschehene Wunder.
Ich Sünder mit Namen Othbert: Wenn ich auch meine Sünde verstecken wollte, wäre doch die Unruhe meines Blutes und die Bewegung meiner Glieder ein Zeichen. Auf dass jeder wisse, weshalb es sich ereignet habe, und damit mir Gott zu Ehren ein Almosen gegeben werde, lege ich [es] geordnet vor für jene, die es lesen wollen.
Wir waren achtzehn, fünfzehn Männer und drei Frauen, in der Ortschaft Colbizce (Kölbigk) in Sachsen, wo der heilige Magnus sein Martyrium erlitten hat. Die wir am heiligsten Fest der Geburt des Herrn nach Vollendung des Morgens an der Feier der Messe hätten teilnehmen sollen, führten wir vom Teufel bewegt im Kirchhof Reigen auf. Der Priester mit dem Namen Ruthbertus hatte schon mit der ersten Messe begonnen, aber ach! So sehr wurde er durch unsere Gesänge behindert, dass es selbst die heiligen Worte übertönte. Von dieser Störung bewegt kam er zu uns, uns ermahnend, dass wir von diesem Werk ablassen und in die Kirche eintreten sollten. Doch von uns verschmäht war dies sein Wunsch: “Hoffentlich müsst ihr so Ruhelosen aus der Allmacht Gottes und Kraft seines heiligen Märtyrers Magnus ein Jahr singend verbringen.“ Wir aber verhöhnten seine Worte und setzten unseren Gesang fort. Es war jedoch von den drei Frauen eine die Tochter des Priesters namens Mersint. Diese versuchte ihr Bruder namens Johannes auf Befehl des Vaters am Arm aus dem Reigen herauszuziehen. Aber sogleich fiel der Arm vom Körper ab, und dennoch floss kein Tropfen Blut. Und was wundersam zu erzählen ist: Sie fuhr ohne den Arm für das Jahr mit uns fort zu singen und die Füße zu benutzen, wie der Priester erfleht hatte. Nach Ablauf von sechs Monaten waren wir daher bis zu den Knien in der Erde verschwunden. Als nach einem Jahr dieselbe heiligste Geburt des Herrn wiederkehrte, führten wir unseren Kreisreigen bis zur Hüfte in der Erde versunken fort. Und dann wurden wir durch den Herrn und Heiligen Heribert, Bischof von Köln, nach dem Willen Christi befreit. Derselbe löste uns, als er an jenem Festtag der Weihnacht zu uns kam und ein Gebet über uns sprach, von den Fesseln, durch die wir gegenseitig Hand an Hand gebunden waren, und rekonziliierte uns vor dem Altar des Heiligen Magnus, des kostbaren Märtyrers der Kirche. Da erfasste uns zunächst tiefster Schlaf und dort vor dem Altar schliefen wir ein, und drei Tage und drei Nächte, Gott sei unser Zeuge, schliefen wir ununterbrochen. Einer aber von uns, mit Namen Johannes, und auch die Tochter des oben genannten Priesters und zwei andere Frauen hauchten sofort, als sie da vor selbigem Altar auf der Erde ausgestreckt lagen, ihren Geist aus. Als wir nach unserer Verzückung wieder zu uns selbst gekommen waren, bekamen wir zu essen. Und so hat uns bis heute ein Zittern der Glieder als Zeichen der Erinnerung oder besser der Bestätigung nicht verlassen. So haben wir in jenem ganzen Jahr nicht gegessen und nicht getrunken und nicht geschlafen und kein Regen hat uns gestört. Nichts haben wir gefühlt, nichts hat uns gefehlt, als wir ohne Sinne sangen. Mehrmals wurden über uns Dächer errichtet, um den Regen abzuhalten, aber diese wurden nach dem Willen Gottes [immer wieder] zerstört. Unsere Kleider und unsere Schuhe nutzten sich nicht ab, unsere Nägel und Haare wuchsen nicht in dem üblichen Maße, sondern, wie wir begonnen hatten, blieben wir für ein ganzes Jahr bewusstlos. Einige von uns sind schon verstorben und wirken Wunder [miraculis choruscant], einige singen als Befreite das Lob Gottes.
Gegeben ist dies im Jahre nach der Geburt des Herrn 1021 in der vierten Indiktion unter der Regierung Heinrichs II.
Dieser Brief wurde uns ausgestellt vom Herrn Pilgrim, Bischof von Köln, dem ehrwürdigen Nachfolger des Herrn Heribert.“